137. Sitzung vom 16.11.2023 – TOP 10 Vielehen, Kinderkopftuchverbot in Kitas und Schulen
Vizepräsidentin Yvonne Magwas: Da wünschen wir Ihnen viel Erfolg, Herr Baldy, dass es mit dem Jasagen klappt. Für die Unionsfraktion ist die nächste Rednerin unsere Kollegin Anne Janssen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Anne Janssen (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von meiner Seite an Herrn Baldy schon mal alles Gute. Ich hoffe, das klappt noch mit dem Jasagen. Zurück zum Thema. Alle Jahre wieder oder – besser gesagt – alle Legislaturen wieder – es war vor ziemlich genau dreieinhalb Jahren, als die Forderung nach einem Verbot von Kinderkopftüchern in Kitas und Schulen bereits von der AfD ins Parlament eingebracht, hier beraten und schließlich abgelehnt wurde. Zu dieser Zeit war ich noch nicht Teil dieses Parlaments, sondern als Grundschullehrerin tätig und im täglichen Gewusel mit den Kleinen beschäftigt. Und ja, auch ich durfte ein paarmal – es war wirklich nicht oft – nach den Sommerferien einige Mädchen mit Kopftüchern in der vierten Klasse wieder begrüßen. Ich habe sie vor den Sommerferien verabschiedet, am Ende der dritten Klasse, und nach den Ferien kamen sie mit einem Kopftuch wieder. Wenn ich dann gefragt habe: „Warum trägst du denn jetzt ein Kopftuch?“, dann sagten die Mädchen häufig: „Na ja, ich habe das jetzt bei meiner älteren Schwester gesehen, bei der großen Cousine, bei einer Nachbarin, und ich möchte so sein wie die großen Mädchen, und deswegen trage ich jetzt ein Kopftuch.“ Und weil ich auch die Eltern der Mädchen zum Teil schon über mehrere Jahre kannte, erlaube ich mir an dieser Stelle eine deutliche Abgrenzung zu der von Ihnen vorgenommenen Gleichsetzung mit einer islamistischen Denkweise oder Erziehung.
(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])
Ich schildere diese Erfahrungen nicht, um mich aktiv für das Tragen oder für ein Verbot von Kinderkopftüchern auszusprechen. Ich möchte heute auch nicht die Debatte über das Frauenbild in fundamentalistischen Glaubensrichtungen eröffnen. Aber ich möchte aufzeigen, wie schwierig die Instrumentalisierung eines Stückes Stoff in einem freien und demokratischen Land wie Deutschland ist.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vor allem möchte ich deutlich machen, dass die von Ihnen beschriebenen Probleme nicht über ein Verbot von Kopftüchern gelöst werden können; denn eine mögliche Ideologie kann auch ohne ein Kopftuch weitergegeben werden. Kinder können auch ohne ein Kopftuch unter Zwang aufwachsen, und bestimmte Rollenbilder werden auch ohne ein Kopftuch vermittelt. Ich habe mich zu keiner Zeit durch ein Kopftuch in meinem Erziehungs- oder Bildungsauftrag als Lehrerin eingeschränkt gefühlt. Aber trotz oder vielleicht auch gerade wegen dieser Kopfbedeckung konnte ich mit den Kindern, mit den Mädchen über Autonomie und Selbstbestimmung ins Gespräch kommen, und die eine oder andere kam dann auch nach ein paar Tagen wieder ohne ein Kopftuch in die Schule. Die Probleme der äußerlichen Abgrenzung durch Kleidung sind mir als Lehrerin bekannt. Ich habe sie auch wahrgenommen, aber dann eher im Bereich des Tragens von Markenbekleidung und nicht wegen eines Kopftuches. Auch die Ausübung von Zwang und Druck von Eltern auf ihre Kinder habe ich erlebt und leider auch Fälle von Kindeswohlgefährdung oder auch Schlimmeres, aber alles ohne ein Kopftuch. Diesen Kindern hätte auch keine Kleiderordnung geholfen.
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)
Damit komme ich auch zum nächsten Punkt in dieser Debatte; denn bis heute wurde der Zusammenhang des Kinderkopftuches mit einer Kindeswohlgefährdung empirisch nicht belegt.
(Beatrix von Storch [AfD]: Haben Sie „Kinderkopftuch“ gesagt?)
Bis heute liegen auch keinerlei Zahlen über Mädchen mit Kopftüchern in deutschen Schulen oder deren Motivation zum Tragen, Auswirkungen auf den Lernerfolg, die persönliche Entwicklung, die Integration oder den Schulfrieden vor. Die vorgebrachten Argumente für ein Verbot sind also Annahmen und Mutmaßungen und somit keine rechtliche Grundlage für ein Verbot gegenüber den hohen Rechtsgütern wie der Religionsfreiheit oder dem Erziehungsrecht der Eltern.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Klarstellen möchte ich an dieser Stelle aber auch, dass meine persönlichen Erfahrungen keinerlei Evidenz bieten und auch zu keiner allgemeinen Verharmlosung führen dürfen. Sie stehen Presseberichten oder Aussagen von anderen Lehrkräften mit gegenteiligen Erlebnissen gegenüber. Selbstverständlich darf das Tragen eines Kopftuches in einer Kita oder einer Schule auch nicht zu Einschränkungen im Sportunterricht, im Schwimmunterricht oder bei der Teilnahme am allgemeinen Tagesablauf führen. Aber auch in diesen Fällen halte ich den Dialog mit den Kindern und den Eltern immer für das erste Mittel der Wahl.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Umsetzung eines generellen Verbotes von Kinderkopftüchern – das haben wir gerade schon gehört – ist in der juristischen Wissenschaft und Lehre umstritten. Juristisch weitgehend unstrittig ist jedoch, dass das Kopftuchverbot verhängt werden kann, wenn es nachweislich zu konkreten Konflikten im Schulablauf kommen kann. Abschließend möchte ich aber noch einmal zu Ihrem Antrag, zur eingebrachten Diskussionsgrundlage zurückkommen. Die Religionsfreiheit ist in Zeiten wie diesen eines der höchsten Güter einer freien und demokratischen Gesellschaft. Weder Juden noch Muslime noch Christen sollten Angst haben, religiöse Symbole offen zu tragen. Der wahre Konflikt liegt hinter diesen Symbolen und ist nicht allein durch ein Verbot zu lösen, genauso wenig wie Ihre islamfeindliche Haltung, die Sie hier immer an den Tag legen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ihr Antrag ist noch genauso vage wie der von vor dreieinhalb Jahren. Er zeigt weder Sanktionsmechanismen auf, noch wägt er die Grundrechtsgüter gegeneinander ab. Wenn Sie mir einen Blick in die Zukunft erlauben: Erwarten Sie in den Ausschüssen auch keinen anderen Ausgang der Beratungen als genau den von vor dreieinhalb Jahren. Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)